Name:
Gefährdungsgrad:
Herkunft:
Größe:
Gewicht:
Verbreitung:
Merkmale:
Besonderheiten:
dänisches Glöckchenschwein
extrem gefährdet
Insel Fünen (Dänemark)
Widerrist 65-75 cm / Länge:140-160 cm
130-160 kg
Weltbestand wird auf ca. 160 Tiere geschätzt
schwarz/weiß gefleckt / große Schlappohren
zwei Hautausstülpungen zwischen Unterkiefer und Halsansatz
1996 führte Dr. Jürgen Güntherschulze diese Rasse nach Deutschland ein. Die Bezeichnung “Glöckchenschwein” wurde ebenfalls von ihm eingeführt
Glöckchenschweine - was sind das?
Im ehemaligen Tierpark Warder (heute Arche Warder genannt) hielt, züchtete und erhielt Dr. Güntherschulze seit 1996 eine Schweinerasse, die erst auf den 2. Blick als ungewöhnlich zu erkennen ist. Es handelt sich dabei um das alte Schwarzbunte Dänische Landschwein, in Dänemark „Sortbroged-Schwein“ genannt (weiß mit schwarzen Flecken).
Das besondere an diesen Schweinen: Viele Individuen tragen am Unterkiefer in der Nähe des Halsansatzes zwei sogenannte „Bommeln“. In Ermangelung eines gängigen deutschen Namens für diese alte Schweinerasse habe ich seinerzeit als Direktor des Tierpark Warder die Bezeichnung „Glöckchenschwein“ eingeführt. Nur rund 1/3 der Glöckchenschweine weisen solche Glöckchen am Hals auf: Entweder beidseitig oder nur an einer Kieferhälfte.
Ansonsten sind diese Schweine wie viele Landschweinrassen weiß mit zahlreichen - mal mehr, mal weniger - kleineren oder größeren schwarzen Flecken über den ganzen Körper verteilt. Die Gründerpopulation in Deutschland ( 1 Eber + 2 Sauen) erwarber 1996 vom einzigen Dänischen Haustierpark (Danmarks Husdyrpark) auf der Insel Fünen nahe der Stadt Bogense. Ein Jahr später wurde noch ein weiteres Paar von dort erworben. Der gesamte übrige Bestand dieser alten dänischen Landschlagrasse, die sich in ihrer alten genetischen Konstellation als unspezialisiertes Weideschwein hinüber gerettet hat, wird von Herrn Gorm Benzon, dem Besitzer des Haustierparks seit vielen Jahren in ganzjähriger Freilandhaltung dort gehalten. Herr Benzon und seine Familie haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, alte historisch gewachsene dänische Nutztierrassen der Nachwelt als lebendes Kulturgut zu erhalten und sie als wertvolle genetische Reserve für die landwirtschaftliche Tierzucht der Zukunft zu bewahren. Schon die Haltungsform dort ist nach landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ungewöhnlich. Auf einer ca. 5 ha großen Wald- und Weidefläche, die durch mehrere E-Zaun-Reihen begrenzt ist, laufen zur Zeit rund 160 dieser Schweine. Die von den Glöckchenschweinen genutzten Flächen können bei Überweidung durch Versetzen der E-Zäune verschoben werden. Grundprinzip dieser extensiven Schweinehaltung (ganzjährig im Freien) ist die in den letzten Jahren in Dänemark, aber auch in Deutschland, in Mode gekommene Outdoor-Haltung. Allerdings ist bei Gorm Benzon die Familienherdenhaltung nicht aus grundsätzlich wirtschaftlichen Erwägungen heraus betrieben worden. Vielmehr geht es hierbei um die Erhaltung des weltweit gesamten restlichen Genpools dieser alten Schweinerasse, die nur noch dort sowie im Haustierpark Lelkendorf und bei einem halben Dutzend Privatzuchten in Reinform betrieben wird, die sich zu einem Erhaltungszucht- und Vermarktungsring zusammengeschlossen haben.
Die Schweine nutzen im Dänischen Haustierpark die gesamte Fläche zum natürlichen Grasen und Umbrechen der Weideflächen. Alle typischen Verhaltensweisen wie Wühlen, Boden-Umbrechen, Grasen, sich an Pfählen oder Bäumen scheuern, sich suhlen in Schlammlöchern sowie Rangordnungskämpfe austragen sind jederzeit möglich. Eine Beifütterung des Bestandes ist wegen des hohen Besatzes notwendig. Gerade durch Nutzung von ins Gehege gestellten Stroh-Rundballen als „Abenteuerspielplatz“ für Schweine, in dem diese Kleingetier wie Insekten, Larven, Würmer, Nagetiere, Amphibien etc. aufspüren, entsteht ein für Schweine besonders attraktives „Behavioral Enrichment“. Außerdem stellt das aufgespürte Kleingetier eine wichtige zusätzliche Eiweißquelle dar. Und obendrein fördert der Umgang mit diesen Strohballen die Vielfalt der Schweine-Aktivitäten. Auch werden Ferkelwürfe außerhalb ihrer Unterstände gerne in diesen auseinander gerissenen Strohballen abgelegt.
Ungewöhnlich ist vor allem die gute Verträglichkeit zahlreicher, unterschiedlich alter Schweine innerhalb dieses großen Herdenverbandes. Fast 50 % des Bestandes sind Eber, darunter bestimmt 20 ranghohe Eber, die aber offensichtlich die Rangordungs-Hierarchie - einmal ausgekämpft - akzeptieren.
Genau diesen weitgehend stressfreien Familiensinn kann man auch bei der Zuchtgruppe im Haustierpark Lelkendorf beobachten. Die Eber und die anderen Sauen betreuen gelegentlich, aber grundsätzlich vorzüglich, die neuen Ferkelwürfe und lassen sich von den Ferkeln „nerven“, während die Mutter-Sau in der Zwischenzeit in Ruhe ihrem Fressbedürfnis nachkommen kann.
Was aber nun bedeuten die Bommeln oder Glöckchen der Schweine?
Es steht fest,...
Auch beeinflussen die Glöckchen die normale Reaktion der Tiere in keiner Weise - soweit wir dies bisher feststellen konnten. Auch Herr Gorm Benzon - mündlich - konnte nichts ungewöhnliches feststellen. Es bleibt aber die Frage offen: Haben diese mehrere Zentimeter langen Glöckchen (bei einigen in Dänemark gesehenen Ebern konnten diese Hautausstülpungen bis zu 10 cm lang sein) bei Schweinen früher eine Bedeutung gehabt? Ist diese Funktion aus früheren Zeiten evtl. „verschüttet“ worden oder enthielten diese Glöckchen in vergangenen Zeiten vielleicht doch Markierungsdrüsen, die in der extensiven Schweinehaltung früherer Jahrhunderte eine Rolle gespielt haben. Auch in der Literatur konnten hierzu keine weiteren Angaben in älteren oder neueren Lehrbüchern über Schweine gefunden werden.
Grundsätzlich kann man zur Revierkennzeichnung und Markierung bei Wild- und Hausschweinen folgende Aussage finden:....
Die Unterkieferspeicheldrüsen liegen in unmittelbarer Nähe der Glöckchen und könnten vielleicht eine Beziehung dazu gehabt haben.
Vielleicht hilft ein Blick in die Historie weiter. Es gibt nämlich auch weitere Schweinerassen, die derartige Glöckchen tragen:
1.) Das Ossabaw-Schwein
Dies ist eine verwilderte Hausschweinform von einer Insel, die der Ostküste der USA vorgelagert liegt. Diese verwilderten zähen, etwa Hängebauchschwein- großen aber schlanken Schweinchen mit langgezogener Schnauzenregion gehen auf Hausschwein-Importe der ersten weißen Siedler in der neuen Welt zurück und haben sich somit seit Jahrhunderten aufgrund der damaligen Unspezialisiertheit der eingeführten Hausschweine leicht und problemlos auf der Insel vermehren können. Heute versucht man, diese verwilderten Schweine auf der Insel zu eliminieren, da sie offensichtlich doch erheblichen Schaden in der jetzigen Kulturlandschaft, aber auch bei endemischen Wildtier- und Pflanzenbeständen verursachen. Dennoch sind einzelne Personenkreise bemüht, dieses alte „Kulturgut-Schwein“ als lebendes Denkmal der Besiedlung Amerikas zu erhalten. Auch unter diesen Schweinen sollen ca. ¼ der Tiere Halsbommeln tragen.
2.) In Südamerika, im Nordosten Brasiliens gibt es eine kleinrahmige, auch etwa Hängebauchschwein-große, wenig behaarte Fettschwein-Rasse , das Nilo-Schwein, bei dem fast immer Glöckchen gefunden werden. Diese Glöckchen sind jedoch auffällig pralle Hautlappen. Der Bestand ist gefährdet und wird von der teilstaatlichen brasilianischen Forschungsorganisation EMBRAPA durch Monitoring erfasst und züchterisch begleitet. Im brasilianischen Haustierpark nahe der Hauptstadt Brasilia, der sogenannten „Experimental-Farm“ werden diese seltenen Schweine weiter gezüchtet und sind bereits durch Sperma- und Embryoneneinlagerung in ihrem Bestand fürs erste abgesichert.
3.) In Rumänien soll auch das gefährdete autochthone Schwein der Karpaten, das Basna-Schwein gelegentlich Glöckchen tragen.
4.) Und schließlich sei noch erwähnt, dass auch das erst 1975 ausgestorbene Deutsche Weideschwein gelegentlich Glöckchen getragen haben soll.
Es fällt bei allen diesen Rassen auf, dass es sich bei diesen Glöckchentragenden Schweinen um traditionelle Landschläge handelt, die schon mehrere 100 Jahre bekannt sind oder Nachkommen von Jahrhundertealten Schweineformen darstellen. Wenn man noch bedenkt, dass die aus Europa, speziell von der Iberischen Halbinsel stammenden Schweine, welche die Seefahrer als Frischfleischversorgung seinerzeit mitgenommen hatten, ebenfalls unspezialisierte Schweine aus der näheren Umgebung der Seefahrerstädte darstellten, so kann vermutet werden, dass vor mindestens 400 - 500 Jahren weitaus mehr Schweine als zur Zeit bekannt sind solche Glöckchen getragen haben. Wenn dem so ist, stellt sich natürlich sofort die Frage nach dem Sinn dieser Glöckchen. Auch wenn wir heute in diesen Hautanhängen keine speziellen Zelltypen oder Drüsen entdecken können, so ist nicht auszuschließen, dass sie bei etlichen Schweinerassen vielleicht doch eine Funktion oder zumindest einen Selektionsvorteil in der Zucht oder in der damals üblichen Hütehaltung der Schweine gehabt haben. Es muss auf jeden Fall eine spezielle Erbanlage oder Erbanlagen für die Ausbildung dieser Glöckchen geben, die zu damaligen Zeiten weit verbreitet waren und die heute nur noch vereinzelt phänotypisch sichtbar werden. Zumindest kann vermutet werden, dass vor der Entdeckung Amerikas die Glöckchenbildung bei Schweinen weiter verbreitet war als heute und die damaligen Schweineformen möglicherweise auf einen gemeinsamen Hausschweine-Typ mit Glöckchen zurückzuführen sind.
©Dr. Jürgen Güntherschulze